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소나기 - Regenschauer

2017 wurde mein Interesse an Korea durch Zufall geweckt. 2018 buchte ich schon spontan meine erste Reise nach Seoul, Korea* – Halloween Pub Crawl und 북한산Aufstieg inklusive (Anm.: Ich hatte seitdem nie wieder so einen starken Muskelkater in meinen Oberschenkeln). Die Esskultur, der gute alte 막걸리 und die Geschichte eroberten vollends mein Herz und spornten mich an, meine koreanischen Sprachkenntnisse zu verbessern.

Nach der ersten Koreareise konnte ich also es kaum abwarten, wieder zurückzufliegen. Schon im Dezember 2018 meldete ich mich bei einer Farm in 계룡시 und erkundigte mich, ob ich dort im Sommer für drei Wochen freiwillig arbeiten (WWOOFen) konnte. Ein freundliches „ja“ und ein „du bist ja gut im Planen“ kamen schnell als Antwort (andere WWOOFer sind da wohl etwas spontaner unterwegs oder halt nicht so eifrig, wieder zurück nach Südkorea zu gehen). Mein Job damals war unglaublich stressig und auslaugend, aber der Gedanke für eine WWOOFing Erfahrung wieder zurückfliegen zu können, ermöglichte mir, das Schuljahr an einer Londoner Secondary School durchzustehen. Ende Juli 2019 ging los. Nach einem kurzen Zwischenstopp in Seoul, inklusive eines Treffens mit einem Bekannten vom Pubcrawl vom Jahr zuvor, machte ich mich auf dem Weg nach 계룡시.

Nun saß ich da, im wunderschönen Zug, und die Landschaft, die so an mir vorbei raste, saugte ich nur so in mich auf. Ich war einfach so aufgeregt und glücklich. Neben mir machte sich plötzlich ein älterer Herr bemerkbar. Ich sah zu ihm rüber und merkte, dass es derselbe Herr war, der mir kurz vorher am Bahnhofer Tous Les Jours bei der Kasse mit einem Lächeln den Vortritt gegeben hatte. Bevor ich es wusste, war ich mit ihm in ein Gespräch verwickelt – in gebrochenem Englisch von seiner Seite und in gebrochenem Koreanisch von meiner Seite und viel Gestikulation zwischendurch, wenn einfach mal gar nichts ging. Kurz vor meinem Stopp tauschten wir dann unsere Emails aus. Dass daraus eine E-Mail-Freundschaft entstehen würde (basierend auf einer großen Leidenschaft für’s Wandern und die Natur), die noch bis heute anhält, hätte ich damals wohl für kaum möglich gehalten. 정선생님 (so sein Name) und ich hatten sogar kurz danach die Möglichkeit, uns in London zu treffen. Bis heute weiß ich nicht, wie ich mich damals eigentlich mit ihm verständigen konnte, aber er konnte viel lachen, das war ja die Hauptsache.

Na ja, jedenfalls kam ich endlich in 계룡시 an und wurde dort schon herzlich von 계모님(meine Chefin sagte, ich sollte sie einfach so nennen, weil sie für ihre ganzen Hühner – und WWOOFer - wie eine Stiefmutter ist) begrüßt. Zusammen fuhren wir zu ihrem Hof, wo ich dann erstmal das Zimmer begutachten und meine Sachen abstellen konnte. Ich könne mich heute noch ausruhen, sagte 계모님, und morgen erst anfangen. Ich konnte es aber kaum abwarten und stieg in meine Arbeitsklamotten und unterstützte die liebe 이모 und Tamar (ein Mädchen aus Israel) beim Unkraut jäten. Hatte ich eigentlich erwähnt, dass es unglaublich heiß war? Der Schweiß lief mir binnen Sekunden schon den Rücken und die Stirn herunter. Der Staub auf der Straße wurde von ab und zu vorbeifahrenden Autos aufgewirbelt und legte sich auf die Haut. Störte mich das? Nicht im Geringsten, denn ich war da, wo ich mich seit meiner letzten Reise im Oktober 2018 so gefreut hatte.
Am Abend lud 계모님 die ganze Crew, die zweite WWOOFerin Tina aus Russland und mich dann zum Essen ein. Tamar hatte andere Pläne und kam nicht mit, was sie nachher selber bereute, denn wir hatten Essen vom Feinsten. Ich war als Kind und bis in meine frühen Zwanziger unglaublich wählerisch, was Essen anging, aber an dem Abend aß ich alles, was auf dem Tisch stand und mein Gott war das Essen lecker! Der Weg zurück war geprägt von einem malerischen Sonnenuntergang, der an uns vorbeizog, und vielen koreanischen Balladen, die aus dem Autoradio ertönten.

Was die drei Wochen darauf folgte, kann ich hier kaum niederschreiben, denn schon jetzt ist die Geschichte unglaublich lang. Bis dato waren dies jedenfalls die drei glücklichsten Wochen in meinem Leben, da ich vollkommen von der Natur umgeben war, stetig was Neues lernte, viel lachte, unglaublich nette Menschen kennenlernte und jeden Tag das beste Essen der Welt genießen konnte. Ich half dabei, Hühnerstelle zu säubern, die Hühner zu impfen, Black Soldier Flys zu füttern, das Restaurant zu säubern, die Tische zu setzen und Gäste zu bedienen und vieles Mehr. Zwischendurch gab es immer Pausen, die geprägt waren von 이모s Witzen und Getratsche und ihrem liebevollen 쉬어, 쉬어, wenn es an der Zeit war, Pause zu machen. Der allerschönste Moment jedoch war mit 승선생님 (so durfte ich einen meiner Arbeitskollegen nennen), als wir ein paar Arbeiten in den Hühnerstellen verrichten mussten und daher mit so einem kleinen Wagen durch die Gegend sausten. Es war unglaublich stickig und heiß an dem Tag und die Wolken verdichteten sich stets mehr. Es fielen die ersten Tropfen und wir saßen gerade auf dem Wagen, als 승선생님 sich plötzlich entschied, die Einfahrt zum Hühnerstall zu ignorieren und stattdessen weiter geradeaus die Landstraßen entlang zu sausen. Dicke Regentropfen platschten auf uns hinab und es wurden immer mehr. Der süße Duft der Natur stieg auf und vermengte sich mit der schwülen Sommerluft. Wir rasten durch den Regen und lachten laut – der frische Wind blies uns um die Ohren und war ein willkommenes Geschenk nach einem schwülen und schweiß-geprägtem Morgen. Es ist genau dieser 소나기Moment, der sich in mein Gehirn gebrannt hat und einer sein wird, den ich immer mit Korea in Verbindung bringen werde.

Danke für’s Lesen und auf dass wir alle bald wieder einen 소나기 Moment oder Ähnliches in Korea erleben werden können.

*Ich war bis dato noch nie so lange geflogen und hatte riesige Angst, aber eine gute Filmauswahl machten das Ganze um Einiges einfacher.

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